Das Papier „An alle gedacht?“ von Lena Osswald und Ann-Kathrin Bersch geht auf die Frage ein, warum die Ergebnisse aus Forschung und Planung zum Thema Gender und Mobilität der letzten Jahrzehnte in der Praxis kaum umgesetzt wurden, und was geschehen muss, um das zu ändern.

Das Papier gibt einen guten Überblick über die Entwicklung der Debatten seit den 1980er Jahren. Dabei wird aufgezeigt, wie es in den 2000ern zu einem ein Stillstand kam, wie seit 2019 das Themas wieder verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist und dass das Thema immer mehr von einer Mobilitätsdebatte auch zu einer Feminismusdebatte wurde.

Ebenso geht das Papier auf Begriffe und Definitionen ein und zeigt, dass Begriffe oft nicht korrekt benutzt werden, z.B. wenn Frauen und Gender synonym genutzt werden. Dadurch entsteht die Gefahr, traditionelle Rollenbilder zu reproduzieren oder essentialistische Definitionen von Geschlecht wiederzugeben.

„Die Frage nach Machtverhältnissen (…) verschwindet dahinter. Gleiches gilt in vielen Fällen für Perspektiven jenseits des binären Geschlechtersystems Die Fokussierung der Debatte auf Frauen sowie männliche und weibliche Stereotype lässt viele Mobilitätsbedürfnisse in den Hintergrund treten und verwischt die Komplexität der Debatte.“ (S. 7 ff.)

Die Autorinnen erklären, wie Gender als Analysetool für die vielfältigen Mobilitätsbedarfe eingesetzt werden kann, und argumentieren gleichzeitig, dass Gender allein nicht reicht, um alle Machverhältnisse abzubilden und mitzudenken. Sie plädieren daher für den Begriff Nutzer:innen-zentriert.

„(…) als Beschreibung dafür, dass ein Planungsprozess oder Mobilitätsangebot ausgehend von den Bedürfnissen aller Nutzer:innen, unabhängig von Geschlecht, Klasse, Behinderung, Hautfarbe oder sonstigen Merkmalen gleichberechtigt, komfortabel und sicher zugänglich ist“ (S. 8).

Im zweiten Teil geht der Artikel der Frage nach, warum selbst nach vielen Jahrzehnten dieselben Forderungen noch relevant sind und trotz Forschungen und Wissensstand die Umsetzung noch nicht gelungen ist. Sie identifizieren folgende Faktoren:

  • Eine Wissenslücke: Es fehlt an Daten und intersektionaler Forschung
  • Umsetzungslücke: Forschungserkenntnisse finden nur langsam ihren Weg in die planerische Praxis

Für beide Lücken werden verschiedene Ursachen und Hypothesen ausgeführt. Abschließend werden sechs Thesen darüber, wie die Umsetzungslücken behoben werden können, aufgestellt.

Das Papier stellt einen Beitrag zur Discussion Paper Reihe des Fachgebiets Integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin dar.