Für manche ist es die Mobilität der Zukunft: Autos, die ohne Fahrer*In im Straßenverkehr umherfahren. So sieht es zumindest das BMVI: „Deutschland soll eine Führungsrolle beim autonomen Fahren einnehmen“[i], heißt es auf der Seite der Ministeriums.

Autonomes Fahren wird in fünf Stufen eingeteilt. Auf Stufe 1 wird die Fahrer*in von einzelnen Assistenzsystemen (z.B. Tempomat oder Abstandswarner) unterstützt, das trifft auf die meisten modernen Autos bereits zu. Auf Stufe 3 gibt es noch eine Person am Steuer, die bereit sein muss, das Fahrzeug selbst zu übernehmen. Bei Stufe 4 fällt die Fahrer*in bereits weg, es gibt aber noch Fahrbeschränkungen auf bestimmte Gebiete oder Geschwindigkeitsbereiche. Bei Stufe 5 gibt es gar keine Fahrer*in mehr, kein Lenkrad und keine Pedale: das Auto fährt selbständig und komplett allein im normalen Straßenverkehr. Bisher waren in Deutschland Autos der Stufe 3 zugelassen. Seit dem 28. Juli 2021 ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, das Autos mit Stufe 4 erlaubt, in festgelegten Betriebsbereichen im öffentlichen Straßenverkehr im Regelbetrieb zu fahren.

Unterstützer*innen des autonomen Fahrens heben eine Vielzahl von positiven Veränderungen hervor, die autonome Fahrzeuge mit sich bringen würden.

  • Sicherheit: Bei Autonome Fahrzeuge sollen menschliche Fehler und Versagen unterbunden und so Verkehrsunfälle vermieden werden.
  • Bequemlichkeit und Effizienz: Statt sich auf das Fahren zu konzentrieren, kann die Fahrer*in während der Zeit etwas anderes tun
  • Weniger Autos: Wenn öffentlich und gemeinsam genutzt, kann ein automatisiertes Fahrzeug an einem Tag die Fahrten von bis zu elf Privatfahrzeugen übernehmen. (Agora)
  • Co2-Reduktion: Das selbstfahrende Auto fährt optimal und spart dadurch Sprit und Emissionen.
  • Letzte Meile: Das selbstfahrende Auto kann als Zubringerdienst für den ÖPNV integriert werden und so das letzte Stück Weg übernehmen.

Kritiker*innen des autonomen Fahrens weisen auf folgende Punkte hin:

  • Sicherheit: Der städtische Verkehr ist komplex, unvorhergesehenen Situationen oder sich ändernde Witterungsverhältnisse sind zu komplex für Maschinen, deren Erkennungssystem noch fehlerhaft sind – bekannt ist etwa der Fall, in dem ein selbstfahrendes Auto eine Fußgängerin mit einem Plastikbeutel verwechselte, nicht bremste und diese tötete.
  • Verantwortlichkeit: Wer ist im Falle eines Unfalls verantwortlich, wenn es keine*n Fahrer*in gibt? Das führt zu komplexen rechtlichen, versicherungstechnischen sowie ethischen Fragen
  • Regeln: es bedarf eines über Ländergrenzen hinweg geltendes, einheitliches Regelwerk
  • Keine Pkw-Reduktion: selbstfahrende Autos könnten einfach nur den Pkw ersetzen und so gar keinen Beitrag zur Reduktion des MIVs leisten.
  • Mehr Pkw: autonomes Fahren könnte den motorisierten Individualverkehr attraktiver machen. Menschen könnten statt ÖPNV oder Fahrrad auf autonome Fahrzeuge umsteigen. Damit wäre für die Mobilitätswende nichts getan, im Gegenteil
  • Verteilungsfragen: Die Fragen, wie Energie- und Flächenressourcen gerecht verteilt werden, bleibt ungelöst, im schlimmsten Falle werden noch mehr dieser Ressourcen für den MIV aufgebraucht.
  • Digitale Infrastruktur: Selbstfahrende Autos stellen hohe Anforderungen an die digitale Infrastruktur, die womöglich für anderen Verkehrsbereiche besser und gerechter genutzt werden könnten. Außerdem tun sich dadurch neue Sicherheitsherausforderungen auf, beispielsweise könnten die Server gehackt werden. Es ergeben sich dadurch neue Herausforderungen für den Datenschutz.

 

Autonomes Fahren aus der Genderperspektive

Weitere kritische Punkte ergeben sich, wenn autonomes Fahren durch die Genderbrille analysiert wird.

 

Der erste genderspezifische Unterschied, der im Zusammenhang mit autonomem Fahren meist genannt wird, ist die Akzeptanz von selbstfahrenden Autos spezifisch in Bezug auf Sicherheitsansprüche. Allgemein fühlt sich die große Mehrheit der befragten Personen nicht sicher, mit einem vollautomatischen Auto zu fahren, z.B. 71% der Befragten in den USA[ii], Jedoch fühlen sich laut einer anderen Studie des MIT nur 14% der Frauen sicher im Vergleich zu 30% der Männer[iii]. Dies deckt sich mit einer Umfrage in Deutschland, wonach 35% der Männer und 19% der Frauen Vertrauen in selbstfahrende Autos haben.[iv]

Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass Sicherheit ein besonderes genderspezifisches Thema ist und FLINTA Personen einem viel größeren Risiko im Verkehrs- und Mobilitätsbereich ausgesetzt sind als Männer, und infolgedessen andere Anforderungen an Verkehrsmittel stellen.

Dies wiederum hängt damit zusammen, dass Mobilitäts- und Verkehrsplanung größtenteils von weißen, nichtbehinderten, cis Männern und für deren Bedürfnisse geplant und umgesetzt wird. Dasselbe spiegelt sich auch in der Forschung zum Autonomen Fahren wider.

Von wem und für wen?

Wissenschaft und Technik sind traditionell ein von Männern dominiertes Berufsfeld. Forschung und Innovation in der Automobilindustrie sind also nicht neutral, sondern per se gegendert, da Männer den technischen Fortschritt dominieren. Außerdem fahren auch insgesamt statistisch gesehen mehr Männer Auto als Frauen. Somit werden selbstfahrende Autos tendenziell für diese Zielgruppe und Bedürfnisse entwickelt und jene von FLINT Personen nicht mitgedacht. Beispielsweise umfasst Sicherheit nicht nur die Abwesenheiten von Verkehrsunfällen, sondern beispielsweise auch die Sicherheit vor möglichen gewalttätigen Übergriffen. Wenn also ein selbstfahrender Bus ohne Begleitservice, ohne Fahrer*in, ohne ansprechbare Person fährt, werden diese Sicherheitsbedürfnisse nicht abgedeckt. Wer soll bei einem Übergriff eingreifen? Wer hilft mobilitätseingeschränkten Personen? An wen können sich Fahrgäste in einer Notsituation wenden? Technische Lösungen reichen bei weitem nicht aus.

Eine weitere Studie zeigt, dass Eltern in den USA zwar die Möglichkeit, ihre Kinder ohne eine fremde Person hinterm Steuer transportieren zu lassen, gut finden, andererseits Bedenken haben, wenn es in einem fahrerlosen Auto keine verantwortliche Person gibt. Dies wirft die Frage auf, ob selbstfahrende Autos auch mit den Bedürfnissen von Personen mit Sorgearbeit und deren Wegeketten konzipiert, oder eher orientiert am klassischen Modell des Mannes, der zur Erwerbsarbeit fährt.

Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der Frage, was für Daten in die Systeme der Maschinen eingespeist werden, auf deren Basis das Fahrverhalten codiert wird.  Ergeben sich daraus stereotypisch „männliche“ oder „weibliches“ Fahrverhalten? Wie wirkt sich racial bias im autonomen Autofahren aus? Aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz sind Beispiele bekannt, in denen die Maschinen Gesichter von Schwarzen oder Personen of colour viel schlechter erkennen als die Gesichert weißer Menschen[v]. Wer bestimmt, welche Daten einfließen, wer kontrolliert den gender und den racial bias?

Chancen für gerechte Mobilität

Bei allen kritischen Fragen gibt es jedoch auch Sichtweisen, die im autonomen Fahren eine Chance für mehr Gerechtigkeit und dem Aufbrechen von männlichen Rollenbildern sehen.

Historisch betrachtet wurden Autos und das Autofahren stark mit einem Männlichkeitsbild verbunden: Schnelligkeit, Kontrolle, Freiheit, Macht, Technik. Durch fahrerlose Autos findet eine Verschiebung statt: der (traditionell männliche) Fahrer wird zum Passagier, was traditionell die Rolle der Frau war. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, Rollenbilder und Performance des mit dem Auto verbundenen Männlichkeitsbild (und dem Pendant des Frauenbildes) aufzubrechen und den Fokus von einer Fahrer*innen auf eine Passagierperspektive zu lenken.[vi]

Vielleicht auch deshalb gibt es in Deutschland bisher keine große Motivation für autonome Autos. Über die Hälfte der Befragten einer Umfrage von AutoScout24 sehen selbstfahrende Autos kritisch, gerade weil sie lieber selbst fahren möchten.[vii]

Rasen, unzulässiges Überholen Tempoüberschreitungen, Alkohol am Steuer – statistisch von Männern an den Tag gelegtes Verhalten – kann durch autonom fahrende Autos ebenso unterbunden werden. Die erhöht die Sicherheit von Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen und somit auch die Sicherheit von FLINT Personen.

Weitere Möglichkeiten für eine gerechtere Mobilität durch autonomes Fahren ergeben sich etwa für mobilitätseingeschränkte Personen oder für die Mobilität im ländlichen Raum. Durch autonomes Fahren könnten Kapazitäten bedarfsorientiert und flexibel eingesetzt werden, die letzte Meile überbrückt oder die Abhängigkeit vom privaten Pkw auf dem Land reduziert werden. In Situationen wie einer Pandemie könnten selbstfahrende Autos von Risikogruppen genutzt werden.

Es gibt also Möglichkeiten, autonomes Fahren sinnvoll in die Mobilitätswende zu integrieren. Das gelingt aber nicht allein durch technische Entwicklungen und gewiss nicht, wenn der Pkw durch einen automatisch fahrenden Pkw ersetzt wird, sondern durch die Einbindung in tiefgreifende Veränderungen und Umstrukturierung von Mobilität und Verkehr für alle. Die Forschung und Entwicklung im Bereich Autonomes Fahren muss einen intersektionalen Blickwinkel annehmen und Genderaspekte bei der Entwicklung der technischen Neuerung mitgedacht werden.

 

 

 

[i] BMVI (2021) Gesetz zum autonomen Fahren tritt in Kraft,

https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/DG/gesetz-zum-autonomen-fahren.html

[ii] Edmonds, Ellen (2019) Three in Four Americans Remain Afraid of Fully Self-Driving Vehicles. Newsroom, 14.03.2019, https://newsroom.aaa.com/2019/03/americans-fear-self-driving-cars-survey/

[iii] Hillary Abraham, Chaiwoo Lee, Samantha Brady, Craig Fitzgerald, Bruce Mehler, Joseph F. Coughlin (2016) Autonomous vehicles and altenratives to driving: trust, preferences, and effects of age. TRB 2017 Annual Meeting, https://agelab.mit.edu/system/files/2018-12/2017_TRB_Abraham.pdf

[iv] Weert Canzler & Lisa Ruhrorthttps (2019) Autonomes Fahren: Loslassen können. Heinrich Böll Stiftung, www.boell.de/de/autonomes-fahren-loslassen-koennen

[v] Adrian Lobe (2020) Programmierter Rassismus, TAZ, 01.09.2020, https://taz.de/Dekolonialisierung-von-Algorithmen/!5706540/

[vi] Dag Balkmar & Ulf Mellströn (2018) Masculinity and Autonomous Vehicle. Transfer, 8 (1), 44–63

[vii] Sarah George (2021) Gerechtigkeitsperspektiven müssen ins Zentrum der Debatte um das Autonome Fahren! WZB Digitale Mobilität, https://digitalemobilitaet.blog.wzb.eu/2021/03/10/gerechtigkeitsperspektiven-muessen-ins-zentrum-der-debatte-um-das-autonome-fahren/