Es ist Sommer und die Urlaubs- und Reisezeit ist in vollem Gange. Zur Mobilität gehört nicht nur das Erreichen der täglichen Ziele, sondern auch das Reisen. Schon vor der Coronapandemie war das Reisen für bestimmte Personengruppen mit Hürden und Barrieren verbunden. Deswegen ist es wichtig, auch dieses Thema aus einer Genderperspektive zu betrachten, denn bedenkenlos Reisen gehen ist ein Privileg – meistens ein Privileg von weißen, hetero, cis Männern ohne Behinderung. Deswegen wollen wir mit einem Themenschwerpunkt diese Woche einen Blick auf andere Perspektiven rund ums Reisen werfen. Was bedeutet #MobilAufReisen für FLINTA, BPOC und LGBTQI*Personen?
Reisen als FLINTA
Für FLINTA Personen ist sicher reisen kein Selbstverständnis. Sexuelle Belästigungen in öffentlichen Räumen und öffentlichen Verkehrsmitteln treten auf der ganzen Welt auf. Laut einer Studie ändern weltweit 50% der Frauen regelmäßig ihr Verhalten und meiden öffentliche Räume, um das Risiko von Belästigungen zu verringern [i]*. Vor allem, wenn FLINTA Personen allein reisen, müssen sie sich mit einer Reihe von Fragen auseinandersetzen. Können sie abends entspannt allein unterwegs sein? Müssen sie ihr äußeres Erscheinungsbild anpassen, um sich nicht möglichen Übergriffen auszusetzen? Wie kommen sie sicher nach Hause? Welchen Aktivitäten können sie sorglos nachgehen?
In der Tourismusbranche wurde dieser Gendergap zum Teil erkannt. Es gibt Angebote, die sich speziell auf Frauen und deren Bedürfnisse spezialisiert haben, wie etwa Unterkünfte und Hotels mit ausgewiesenen Frauen-Etagen, Angebote von Reiseveranstaltern oder für Aktivitäten. Ein paar Beispiele: die She Taxis in Kerala, Indien; die weiblichen Sherpas von Three Sisters Adventure Trekking in Nepal oder die all-female Safari Tourguides „Chobe Angels“ in Botswana [ii].
Auch bei den Geschäftsreisen gibt es einen Gender Gap. Während in den letzten Jahren die Anzahl der Frauen, die auf Geschäftsreisen gingen, gestiegen ist, so scheinen sich im Zuge der Pandemie auch in diesem Bereich einige traditionelle Genderrollen wieder verfestigt zu haben: denn laut FAZ sind es Männer, die nach dem pandemiebedingten drastischen Rückgang von Geschäftsreisen jetzt wieder beginnen auf Geschäftsreise zu gehen [iii].
*An manchen Stellen sprechen wir in diesem Post von Frauen anstatt von FLINTA, da einige der zitierten Studien und verwendeten Daten an einem binären Geschlechterverständnis festhalten und entsprechend erhoben wurden.
Reisen als BIPOC
Schwarze FLINTA und FLINTA Personen of Colour sind auch beim Reisen noch größeren Hindernissen und Barrieren ausgesetzt. BIPOC Personen müssen oft recherchieren, ob ein Land offen rassistisch ist, bevor sie dahinfahren.
„Wenn ich weiß, dass eklatanter Rassismus in einem Land toleriert wird, entscheide ich mich dafür, dieses Land nicht zu besuchen. Ich selbst und viele andere Schwarze Reisende sind wie Zootiere behandelt worden – wir müssen es ertragen, von Fremden unaufgefordert berührt zu werden. Einmal fasste mir eine Dame in mein Haar und tätschelte mein Gesicht. Schlimmer noch, Freunde von mir wurden für Sexarbeiterinnen gehalten.“ (Martina Jones-Johnson, Autorin und Gründungsmitglied der Black Travel Alliance [iv]
Auch ein Ausflug aufs Land – gerade während der Coronapandemie eine der wenigen Möglichkeiten für Naherholung für Personen in der Stadt – ist für BIPOC Personen nicht selbstverständlich, sondern oft auch gefährlich. Besonders in Regionen, in denen die AfD sehr stark ist, können BIPOC Personen nicht unbedingt sorglos hinfahren.
Njema Drammeh schreibt „ (…) Urlaub auf dem Land bedeutet, sich immer wieder mit diesen Eventualitäten, Sorgen und Bedenken auseinandersetzen zu müssen. Sich unwillkommen und fremd zu fühlen. Sich zu fragen, wieso die AfD so stark sein kann. Oder eben doch wie eine Sensation auf dem Jahrmarkt angeglotzt zu werden.“ [v]
Auch in der Reiseindustrie selbst sowie in Reisekampagnen sind BIPOC Personen unterrepräsentiert. Dagegen setzt sich die Black Travel Alliance, eine Gruppe Schwarzer Autor*innen aus der ganzen Welt: Reiseautor*innen, Blogger*innen, Moderator*innen, Journalist*innen, Fotograf*innen, Podcaster*innen, Influencer*innen und Blogger*innen.
Reisen als LGBTQI*
LGTBTQI* Personen sind bei der Auswahl der Reiseziele oftmals eingeschränkt, wenn in den Reiseländern homophobes und gewalttätiges Verhalten toleriert oder Homosexualität sogar strafbar ist. Der Gay Travel Index gibt einen Überblick über die Risiken in fast 200 Ländern und Regionen.
Besonders trans Personen sind beim Reisen unangenehmen bis gewaltvollen Situationen ausgesetzt, etwa, wenn sie ihren Pass zeigen müssen und das eingetragene Geschlecht nicht ihrem Geschlecht entspricht, oder bei Flugreisen, wenn der Scanner oder das Sicherheitspersonal beim Abtasten meint, sogenannte „Unregelmäßigkeiten“ aufzufinden. Viele Geschichten, die in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #travellingwhiletrans zu finden sind, erzählen von trans Personen, die daraufhin in Hinterzimmer gebracht und festgehalten werden, um die „Unregelmäßigkeit“ zu prüfen [vi].
Barrierefreies Reisen
Für Menschen mit Behinderung, mobilitätseingeschränkte Menschen und ältere Personen, ist Reisen mit vielen physischen Barrieren verbunden. Wer mit dem ÖPNV reisen möchte, stößt schnell an die Grenzen: etwa, wenn Haltestellen und Bahnhöfe nicht barrierefrei sind, wenn Bahn- und Bussteighöhen nicht passen, wenn Einstiegshilfen, Leitsysteme für blinde und sehbehinderte Menschen sowie visuelle und akustische Fahrgastinformationen fehlen. Beim Reisen im Flugzeug müssen Rollstuhlfahrer*innen ihren Rollstuhl verlassen, viele berichten von übergriffigem Verhalten und gewaltvollen Situationen. Raul Krauthausen hat auf seinem Blog Geschichten von Twitter gesammelt, die unter anderem davon erzählen, dass Rollstühle häufig ihren Besitzer*innen abgenommen werden, ohne dass diese weitere Informationen erhalten, wohin sie gebracht werden und wie oder wann sie diese zurückerhalten. Nachdem der E-Rollstuhl einer Kommentatorin während des Fluges verloren gegangen war „verfrachtete man sie in einen Flughafenrollstuhl, mit dem sie sich nicht fortbewegen konnte und in dem sie 4 Stunden in einer Ecke des Flughafens sitzen und warten musste – ohne Zugang zu einer Toilette“[vii] . Raul Krauthausen verweist darauf, dass – laut Informationen des U.S. Department of Transportation – alleine in den USA täglich 26 Rollstühle bei Flügen verloren gehen.
Die Angst vor diesen Situationen schränkt behinderte Menschen bei ihren Möglichkeiten zu reisen ebenso ein.
Die Reisedestinationen müssen ebenso in Hinblick auf ihre Barrierefreiheit ausgewählt werden. Die Webseite https://www.barrierefreierleben.de/ sammelt Angebote zu barrierefreiem Reisen, die online Karte Wheelmap zeigt rollstuhlgerechte Orte.
[i] Carsten, Stefan (o.D.): Gender Gap in der Mobilität Wie sich Städte und Verkehr verändern müssen. ZukunftsInstitut, https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/der-gender-gap-in-der-mobilitaet/.
[ii] Mühlböck, Marisa (2015): Solo-Reisen: Mind the Gender Gap. ZukunftsInstitut, https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/solo-reisen-mind-the-gender-gap/
[iii] Janović , Inga (2021): Frauen wagen sich noch weniger auf Reisen. FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.05.2021, https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/region-und-hessen/wegen-corona-gehen-frauen-noch-weniger-auf-geschaeftsreisen-als-maenner-17333883.html
[iv] Tornow, Charlotte: „Schwarze Reisende werden wie Zootiere behandelt“. – Wie rassistisch ist eigentlich die Reisebranche? Reisevergnügen, https://reisevergnuegen.com/black-travel-alliance-reisebranche-rassismus/
[v] Drammeh, Njema (2020): Rassismus auf Reisen: Warum viele nicht auf dem Land Urlaub machen. WMN, https://www.wmn.de/buzz/rassismus-auf-reisen-id31807
[vi] Fury (2015): Als Transgender zu reisen, ist nervenaufreibend und gefährlich. Vice, https://www.vice.com/de/article/kwy5wm/als-transgender-zu-reisen-ist-nervenaufreibend-und-gefaehrlich-462
[vii] Krauthausen, Raul (2019): “Mein Rollstuhl ist ein Teil von mir!” #disabledairlinehorror. Raul.de, https://raul.de/leben-mit-behinderung/mein-rollstuhl-ist-ein-teil-von-mir-disabledairlinehorror/