Social2Mobility

Eine Frau fährt af einem Fahrradparkour in Empelde
Name: Social2Mobility
Laufzeit: 2019-2022
Kontakt: Alena Fischer, Universität Kassel
alena.fischer@uni-kassel.de

Das Forschungsprojekt „Social2Mobility“ hat zum Ziel, die soziale Teilhabe von Bevölkerungsgruppen, die von Armut bedroht oder betroffen sind, durch eine Steigerung der Mobilitätsoptionen zu stärken. Das Untersuchungsgebiet ist die Stadt Ronnenberg in der Region Hannover. Im Zentrum steht die Förderung selbstbestimmter, finanzierbarer und umweltfreundlicher Mobilität armutsgefährdeter Haushalte mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren. Informationen über deren Mobilität, Mobilitätsbedarfe sowie -hemmnisse wurden mit 16 problemzentrierten Interviews und einer quantitativen Haushaltsbefragung (n = 1031 Personen) erhoben. An dieser haben sowohl die Eltern als auch die Kinder armutsgefährdeter und (als Vergleichsgruppe) nicht-armutsgefährdeter Haushalte teilgenommen. Auf Basis der Empirie und Ergebnissen des Reallabors #mobildabei wurden mobilitätsbezogene Maßnahmen entwickelt, die die soziale Teilhabe armutsgefährdeter Haushalte mit Kindern verbessern und die nun umgesetzt werden.

Durchführende Organisationen/Initiativen:

Region Hannover (Fachbereich Verkehr, Dezernat für Soziale Infrastruktur), Universität Kassel – Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme, Goethe-Universität Frankfurt am Main – Arbeitsgruppe Mobilitätsforschung, WVI Prof. Dr. Wermuth Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH

So werden Mobilitätswende, Gender und Chancengerechtigkeit zusammen gedacht

Gender ist eine wichtige Analysedimension im Projekt, da sich finanzielle Armut und Mobilitätsarmut ungleich nach Geschlechtern verteilen. In den empirischen Erhebungen haben sich keine Personen als divers definiert – dies kann am Familienbezug, dem räumlichen Umfeld (Umlandkommune Hannovers) oder der sozialen Gruppe liegen oder abermals aufzeigen, wie sensibel das Thema ist. Gerade deshalb sollen die Maßnahmen vielfältige Genderdimensionen berücksichtigen, Diskriminierungen abbauen und Mobilitätsoptionen v.a. unter Armutsbedingungen steigern. Die Erhebungen zeigen, dass armutsgefährdete Frauen (im Vgl. zu Männern) im Untersuchungsraum deutlich weniger autozentriert, stattdessen mehr autoreduziert, ÖPNV-orientiert und nicht motorisiert leben. Insofern werden sie durch die Maßnahmen, die v.a. auf Förderung und Finanzierbarkeit des Umweltverbunds zielen, besonders unterstützt. Frauen im Untersuchungsgebiet weisen im Schnitt eine geringere Führerschein- (91 %, im Vgl. Männer: 95 %) und Autoverfügbarkeit (72 %, im Vgl. Männer: 76 %) auf. Dieser signifikante genderspezifische Unterschied wird durch die Armutsgefährdung noch verstärkt: Während 71 % der armutsgefährdeten Frauen einen Führerschein haben, sind es bei den Männern 85 %. Und während 50 % armutsgefährdeter Frauen jederzeit über ein Auto verfügen, sind es bei den Männern 66 %. Begleitwege werden insbesondere von Frauen durchgeführt, auch hier besteht ein signifikanter genderspezifischer, durch Armutsgefährdung verstärkter, Unterschied.

Im Projekt werden vielfältige Strukturkategorien, die Mehrfachdiskriminierungen auslösen können, berücksichtigt. Genderbezogene Ungleichheiten werden im Untersuchungsraum beispielsweise durch Armuts- und soziale Exklusionsgefährdung, zeitliche Einschränkungen oder den Migrationshintergrund verstärkt. Die Mehrfachdiskriminierung von Frauen äußert sich in einer eingeschränkten Mobilität auf verschiedenen Ebenen – z.B. in Form geringerer Verkehrsmittelverfügbarkeiten oder auch zeitlicher Beschränkungen durch den höheren Zeitaufwand für die Begleitung von Kindern. Es besteht zudem ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Armutsgefährdung und dem (geringeren) Aktionsradius sowie der subjektiv eingeschätzten Erreichbarkeit von Zielen. Die Empirie zeigt, dass armutsgefährdete Haushalte mit Kindern deutlich häufiger alleinerziehend sind; die Elternteile sind hier zumeist Mütter. Deshalb soll die Chancengerechtigkeit von Frauen, die z.T. gleichzeitig mehreren strukturellen Ausgrenzungsmechanismen ausgesetzt sind, gefördert und somit Intersektionalität berücksichtigt werden.

So baut das Projekt Barrieren zum Zugang und den Nutzen von Mobilität ab

Die gendersensiblen Maßnahmen haben zum Ziel, Mobilitätsbarrieren auf vier Ebenen abzubauen: Fähigkeiten (z.B. Fahrradkurse, Reparaturkurse in partizipativen Werkstätten ggf. mit Frauenöffnungszeiten), Informationen (mehrsprachiger Mobilitätsleitfaden „Der kleine Geldbeutel“), Ressourcen (reduzierte ÖV-Tickets, günstige(r) Radreparatur/-verleih) und Einstellungen. Fehlen diese Voraussetzungen, können sie als Mobilitätsbarrieren wirken, etwa wenn das ÖV-Ticket nicht bezahlbar ist. Armutsgefährdete Personen lernen später Rad fahren, nutzen und besitzen seltener Räder und wohnen in einem weniger fahrradfreundlichen Umfeld. Diesem Ungleichgewicht soll mit inklusiver Radförderung begegnet werden. Das persönliche Sicherheitsgefühl wird u.a. mit der Erhöhung der Radfahrfähigkeiten in Form von Fahrradkursen für unterschiedliche Personengruppen (Kurse in Kindergärten/ Schulen, kultursensible Kurse für erwachsene Frauen) gestärkt. Das subjektive Sicherheitsempfinden im Fuß- und Radverkehr soll zudem durch baulich-infrastrukturelle Maßnahmen, die den öffentlichen Raum neu aufteilen und mehr Flächen dem nicht-motorisierten Verkehr widmen, verbessert werden. Die Erhöhung der Fähigkeiten und Informationen zur Nutzung des ÖPNV sowie ein nächtliches On-Demand-Frauennachttaxi-Angebot haben darüber hinaus die Verbesserung des subjektiven Sicherheitsempfindens im ÖPNV zum Ziel.

Damit trägt das Projekt zu mehr Umweltschutz bei

Die entwickelten Maßnahmen sollen zu einer klimaschonenden und umweltgerechten Mobilität beitragen und somit die Ziele einer sozial- und umweltverträglichen Verkehrswende vereinen. Das Bewertungssystem, welches die Maßnahmen durchlaufen, umfasst neben vielen sozialen Zielen wie die Verbesserung der Umwelt- und Mobilitätsgerechtigkeit auch ökologische Ziele wie die Reduzierung der Verkehrsleistung und in Folge dessen der Luftschadstoff- und Lärmbelastungen sowie CO2-Emissionen des Verkehrs. Viele der entwickelten Maßnahmen sind Mobilitätsmanagement-Maßnahmen, die auf das Mobilitätsverhalten wirken und den Umstieg auf den Umweltverbund (Fuß-/ Radverkehr, ÖPNV, Sharing-Dienste) unterstützen sollen.

 

Diese Formen von Beteiligung und Partizipation gibt es in dem Projekt

Das Reallabor ist inklusiv angelegt, sodass vielfältige Personengruppen an der Maßnahmengestaltung und -umsetzung teilhaben können, z.B. am Gestalten und Ausprobieren des Quartierstickets. Hierbei handelt es sich um ein kostenlos ausleihbares GVH-Monatsticket für die Region Hannover, das im zentral gelegenen Quartierstreff abgeholt werden kann. Eine weitere Maßnahme, an der teilgenommen werden konnte, ist die gemeinsame Anreise über subventionierte Tagestickets für Erwachsene und Kinder zur Tafel der Nachbargemeinde. Wünsche aus den Interviews sind in die Maßnahmenentwicklung eingeflossen, weiterhin waren kommunale Akteure Ronnenbergs beteiligt (z.B. das Sozialberatungszentrum oder der Quartierstreff).