Wien gilt als Vorreiterin der gendergerechten Stadtplanung. Grundlage hierfür ist die Nutzung von Gender Mainstreaming in der Stadtplanung. Gender Mainstreaming bezeichnet eine Strategie zur Verwirklichung der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern in allen Ebenen des politischen und gesellschaftlichen Lebens. Dabei werden bei allen Entscheidungen die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Menschen aller Geschlechter berücksichtigt. Gender Planning wendet diese Strategie auf der Ebene der Stadtplanung an. Dazu gehören auch der öffentliche Raum, Grün- und Parkanlagen sowie die Erreichbarkeit von Verkehrsinfrastruktur und Mobilität.
In Wien wird Gender Mainstreaming und Gender Planning bereits seit über 20 Jahren thematisiert. 1992 wurde das Frauenbüro der Stadt Wien gegründet, bei dem das Thema Planung bereits einen Schwerpunkt darstellte. 1998 wurde die Leitstelle Alltags- und Frauengerechtes Planen und Bauen in der Magistratsdirektion-Stadtbaudirektion eingerichtet, die ab 2001 als zentrale Aufgabe die Weiterentwicklung und Etablierung der damals neuen Strategie Gender Mainstreaming in diesem Bereich aufnahm. 2010 wurde Gender Mainstreaming als Kernaufgabe in den weisungsbefugten Gruppen Planung, Tief- und Hochbau verankert und die Gender-Expertinnen der Leitstelle den Gruppen direkt zugeordnet.
Warum Gender Mainstreaming für alle einen Nutzen bringt, erklärt Eva Kail, Expertin für frauengerechtes Planen und Bauen beim Wiener Amt für strategische Planung, in einem Interview mit der ZEIT:
„(…) weil man mit der Berücksichtigung von Care-Arbeit andere Gruppen gleich mitdenkt, möglichst alle Gruppen berücksichtigt und dadurch Fehler vermeidet. Die Stadt wird fairer und effizienter gestaltet. Knapper Platz wird besser genutzt und Planung hat durch eine höhere Beteiligung der Bevölkerung am Prozess auch eine breitere Akzeptanz. Im Idealfall baut man die soziale und grüne Infrastruktur gleich mit und schafft damit auch die Voraussetzungen für eine funktionierende Nachbarschaft.“
Das Handbuch „Gender Mainstreaming in der Stadtplanung und Stadtentwicklung“ zeigt mit Praxisbeispielen, wie Gender Mainstreaming in den verschiedenen Stadtplanungsbereichen funktioniert. Mobilität und öffentlicher Raum nehmen dabei eine wichtige Stellung ein. Besonders interessant sind die konkreten Beispiele, anhand derer eine Vorstellung von gendergerechter Stadt- und Mobilitätsplanung entwickelt werden kann. Vorher-Nachher Bilder etwa von Kreuzungen, öffentlichen Orten und Parkgestaltungen zeigen eindrücklich: durch gendergerechte Planung verbessert sich die Alltagstauglichkeit von Mobilität und der öffentlichen Raum für alle Bevölkerungsgruppen.
Neben den Praxibeispielen fällt vor allem auch die Vielzahl an Daten zu Gender und anderen Faktoren in der Mobilität auf. Die Datengrundlage ist besonders detailliert und zeigt, wie wichtig dies für eine gendergerechte Planung ist. Beispielsweise werden die verschiedenen Schrittgeschwindigkeiten nach Altersgruppen aufgeschlüsselt. Nach vergleichbaren Daten sucht man im MiD, der wichtigsten Grundlage zu Mobilitätsdaten in Deutschland, vergeblich.
Ein kritisches Auge werfen wir jedoch auf die Begrifflichkeiten. Im Handbuch wird von „Männern“ und „Frauen“ gesprochen, ohne auf die Differenzierung von unterschiedlichen Gender Identitäten einzugehen. Wichtig wäre es, auf diese Aspekte bei der Nutzung von Begriffen einzugehen, um nicht Gefahr zu laufen, biologische Definitionen von Geschlecht zu reproduzieren. Ähnlich sehen wir das bei dem Begriff „Frauen und Männer mit besonderen Bedürfnissen/Ansprüchen“: das impliziert, dass es normale“ Bedürfnisse gibt, denen „besondere“ Bedürfnisse gegenübergestehen.